Vor kurzem erschien eine wütende Replik auf einen Text von mir: Sie sprach meinem Text eigenen Sinn und argumentative Kraft ab und diffamierte meine Person. Das Ziel der Replik war es, meine Argumentation für die Debatte zu entqualifizieren und mich aus ihr hinauszudrängen.
Der Text von mir war „Gegen alte und neue linke Erzählungen“, erschienen in der analyse & kritik vom Januar, die Replik war von Alexander Neupert-Doppler, in der Februarausgabe derselben Zeitung.
Die Form der Replik von Alex hat mich ins Grübeln gebracht. Denn es ist mir in den letzten Jahren erstaunlich oft passiert, dass Repliken auf meine Texte nicht als Kritik am Inhalt meiner Texte arbeiten, sondern irgendwie total aggressiv versuchen, mich fertigzumachen, und zwar nicht mir inhaltlicher Kritik, sondern mit formal-technischen Mitteln der Entqualifizierung. Das sind Entqualifizierungsmittel wie die folgenden: ich würde bestimmte Autoren oder Standpunkte, die für den Diskurs zentral sind, nicht berücksichtigen (Bloch, Horkheimer, Marcuse); ich würde bloße Zitatensammlungen von Autoritäten (Marx) bringen, ohne eigentlich zu argumentieren; ich würde von mir kritisierte Werke (das Buch von Alex, das Buch von Bini) nicht vollständig oder in ihrer Gänze zur Kenntnis nehmen; ich würde bestimmte gefällige Sätze nur als Lippenbekenntnisse bringen, jedoch nicht eigentlich verstehen (hedonistisches Feiern).
In dieser Form habe ich in den letzten Jahren erstaunlich viele Repliken erhalten: Wütend und aggressiv; Diffamierung meiner Person; formal-technische Entqualifizierungsmittel:
2011: Sonja Buckel in Reaktion auf einen Text von mir zu marxistischen Kritik der Uni als bürgerliche Institution
2017: David Doell in Reaktion auf einen Text von mir zu Karrierismus und Anpassung von linksradikalen Intellektuelllen
2018: Die Gruppe „Freundinnen der klassenlosen Gesellschaft“ in Reaktion auf eine Kritik von mir an der radikalen Linken als bürgerlicher Organisationsform
Das sind jetzt diejenigen Erlebnisse, die mir am deutlichsten in Erinnerung, es gibt noch weitere. Es gibt auch verschiedene Erlebnisse, wo ich solche Polemik zwischen anderen beobachtet habe, bemerkenswert war jedoch immer dieses Wutentbrannte, das Bedürfnis einer Behauptung gegen andere Positionen und das Interesse, sie fertigzumachen. Zum Beispiel Ernst Lohoff (Gruppe Krisis), als er mit dem Klassenbegriff konfrontiert ist; der wütende Axel Honneth, als seine Sozialismus-Vorträge in Jena mit marxistischen Positionen konfrontiert wurden (2015); oder Andreas Arndt (2015), ebenfalls um gegen den Marxismus Stellung zu beziehen.
Man muss herausfinden und erklären können, woher diese Wut kommt, und warum es den Leuten nicht möglich ist, die Gegensätze auszuhalten, oder ihre Positionen zu revidieren.
Grund der Wut ist wohl eine Verunsicherung, und zwar aufgrund folgender Konstellation: Man sieht durch die Kritik seine eigene hervorgehobene Stellung in Gefahr; also man ist ja eine Person, die darum wichtig ist, weil sie „im Diskurs“ für eine bestimmte theoretische Position steht und dafür auch angesehen ist und nachgefragt wird. Dieser „Name und Rang“ der eigenen Position ist durch die Kritik in Gefahr. Gleichzeitig weiß man der Kritik nichts Inhaltliches entgegenzusetzen: Darum ist die eigene Position in Gefahr. Man ist also verunsichert, und gerät darüber in Wut. Man versucht den „Namen und Rang“ der eigenen Position zu behaupten, und verteidigt sich entsprechend in einer Art quasimilitärischem Kampf.
Das meine ich nun nicht so, dass es ein psychologisches Problem dieser einzelnen Personen ist, sondern dass es erstens Symptom der Diskussionskultur innerhalb der Linken ist, die sehr stark nach über solche Diskurs-Autoritäten funktioniert und keine Kontroversen mehr ohne Fertigmachen austragen kann, und zweitens Symptom eines desolaten Zustand der linken Theorie ist, die keine Analyse von Begriffen und Gegenständen mehr kennt, und sich darum nicht auf Begriffe und Gegenstände einlassen kann, sondern bloß formalisierte Theorie-Stücke und Begriffsschemata zur Verfügung hat (sonst wäre die Verunsicherung ja nicht denkbar).