Ich versuche mal in den Grundzügen zu umreißen, worin meine aktuelle Arbeit besteht.
Das Thema meiner Arbeit ist die Kritik des bürgerlich-kapitalistischen Subjekts oder kurz die marxistische Subjektkritik. Es geht mir also um die Kritik der entfremdeten Form des Menschen unter kapitalistischen Lebensbedingungen.
Mein Ausgangspunkt ist dabei die Feststellung, dass die vorliegenden Ansätze der marxistischen Subjektkritik problematisch sind, d. h. dass man sie für konkrete Untersuchungen nicht verwenden sollte. Ich zeige dies an einzelnen Autoren jeweils stellvertretend für einen Ansatz der marxistischen Subjektkritik auf: An Georg Lukács für die Verdinglichungskritik; an Erich Fromm für die marxistische Psychoanalyse; an Sohn-Rethel für den Ansatz, der später durch die Wertkritik bekannt geworden ist (Identität von Wert und Subjekt); an Althusser für die Subjektivierungstheorie (postmoderne Subjektkritik). An allen diesen Ansätzen ist dabei zu kritisieren, dass sie einen Maßstab ihrer Subjektkritik zugrundelegen, d.h. dass sie ein authentisches Subjektideal zugrundelegen.
Die marxistische Subjektkritik muss also anders aufgezogen werden. Dabei gehe ich zunächst von folgenden drei Überlegungen aus:
1. Kritik als Darstellung: Marxistische Subjektkritik kann nicht so messend und verurteilend vorgehen, sondern sie muss Kritik im Marxschen Sinne sein, d. h. sie muss Darstellung als Kritik sein, Darstellung der konkreten Strukturen und Logiken des bürgerlichen Subjekts. Sie hat also keinen Maßstab, sondern die obigen Subjektideale sind selbst nur Kategorien innerhalb des Systems des bürgerlichen Subjekts, das in der Subjektkritik zur Darstellung kommt.
2. Die subjektive Entsprechung zur Kritik der politischen Ökonomie: Dieses System des bürgerlichen Subjekts korrespondiert dem System der bürgerlichen Ökonomie, das Marx im „Kapital. Kritik der politischen Ökonomie“ entwickelt hat. Während die Kritik der politischen Ökonomie die objektive Entfremdung des Menschen behandelt, behandelt die Kritik des bürgerlichen Subjekts die subjektive Entfremdung.
3. Entfremdungskritik: Auch wenn die Kritik als Darstellung keinen Maßstab hat, so ist sie doch keine objektiv-neutrale Wissenschaft, sondern ihr geht es um die praktische Kritik an den Formen der Entfremdung, die die menschlichen Lebenszusammenhänge beherrschen. Die Formen des Systems des bürgerlichen Subjekts sind daher als Abstraktionen zu begreifen, die das menschliche Leben beherrschen, vereinseitigen, trennen.
Diese Überlegungen können nun sicherlich auf verschiedene Weise inhaltlich ausgeführt werden. Ich führe sie in meiner Untersuchung aus, indem ich Hegels „Phänomenologie des Geistes“ für die marxistische Subjektkritik aneigne. Diese Wahl ist gut begründet, weil Hegel darin gerade in der Kritik an Philosophie mit Maßstäben eine Darstellung des Systems von Subjektgestalten unternimmt.
Mithilfe der Kritik an Hegel kann ich folgende Thesen ausführen:
1. Das bürgerlich-kapitalistische Subjekt lässt sich nicht als eine bestimmte Form fixieren, beispielsweise – wie dies getan wurde – als verdinglichtes Bewusstsein, autoritärer Charakter oder autonomes Subjekt. Es kann nur als System von vielen konkreten Formen analysiert werden. Diese Formen müssen in ihrem konkreten Gehalt Eingang in die theoretische Analyse finden und sie müssen in ihrem systematischen Zusammenhang entwickelt werden. Zum Beispiel sind für die abstrakteste Ebene die Formen der entfremdeten Wahrnehmung, der Ich-Identität und der Persönlichkeit zu nennen, die jeweils eine ganz eigentümliche Beschaffenheit aufweisen, und zugleich aber in ihrem inneren Zusammenhang begriffen werden müssen.
2. Diese Formen des Systems betreffen nicht nur das einzelne menschliche Individuum. Zu diesem System gehören daher auch höherstufige Formen wie die bürgerliche Kultur (z. B. Familie, Bildungsbürgertum) und die Ideologie.
3. Die Kritik des bürgerlichen Subjekts ist nur als ausgeführtes System vollständig, d. h. jede dieser Formen muss in ihrem eigenen Gehalt analysiert werden. In meiner Untersuchung sind also diese Formen wie beispielsweise die Ich-Identität und die Ideologie auch konkret dargestellt.
4. Die einzelnen Formen sind nach dem Hegelschen Begriff als „Gestalt“ aufzufassen, sie beherrschen das Individuum jeweils als konkret bestimmte Ästhetik. Zum Beispiel ist die Hegelsche „schöne Seele“, die in ihrer Weltflucht zugleich über alles und jedes urteilt und sich trotz ihrer Praxislosigkeit über alles erhaben weiß, eine solche Gestalt. Ein anderes Beispiel – unabhängig von Hegel ist der Konsumismus: Dies sind die Subjekte als „Konsummaschinen“, für die jeder Kaufakt und Genuss ein singulärer Augenblick eines Hochgefühls ist, der jeweils nur im Moment lebt und in dem jede Beziehung zum Vorher und Nachher (Geld beschaffen, Arbeit, Gesundheit) gleichgültig ist. – Die Hegelsche Gestalt ist eine gegliederte, abgeschlossene Ganzheit mit eigentümlicher Bestimmtheit, die als unmittelbares Ganzes für eine ästhetisch-spekulative Anschauung da ist. Kritisch gesehen ist eine Gestalt eine Ästhetik, die ein Individuum beherrscht und in der sich ein Individuum selbst empfindet, in der es fühlt, denkt und agiert.
Für meine Überlegungen zu dieser marxistischen Subjektkritik waren die Arbeiten von Wolfram Pfreundschuh, insbesondere die Bücher „Kritik des Freudschen Systems der Psychoanalyse“ und „Kritik der politischen Ästhetik“, eine wesentliche Quelle der Orientierung und Inspiration.
Anhang: Systematik der Gestalten
In Anlehnung an die „Phänomenologie des Geistes“ schlage ich folgende Systematik vor:
A. Das Individuum (Hegel: Bewusstsein und Selbstbewusstsein)
A.1. Die entfremdete Wahrnehmung (Hegel: Bewusstsein)
Reduktion der Wahrnehmung auf Empfindungen, Aufladung von Empfindungen mit Abstraktionen
A.2. Die Ich-Identität (Hegel: Selbstbewusstsein)
Selbstidentität, Selbstwert, Wertschätzungskonkurrenz
A.3. Die Persönlichkeit (Hegel: Freiheit des Selbstbewusstseins)
Narzisstischer Charakter, flexibler Charakter, autoritärer Charakter
B. Selbstverwirklichung und Moral (Hegel: Die Vernunft)
C. Die bürgerliche Kultur (Hegel: Der Geist)
Die Familie und die Geschlechter, Kollektivästhetik der Linken, die schöne Seele, Massenkultur, Sport, Bildungsbürgertum/Hochkultur, Massenpsychologie
D. Die Ideologie (Hegel: Die Religion)
Heimat-Ideologie, Kulturindustrie, Neoliberalismus, Antikommunismus, Antisemitismus, Nationalismus, Sicherheitsideologie, antimuslimischer Rassismus