Afrika als Identität

Afrika wird von außen immer so als negative Einheit konstruiert: der dunkle Kontinent, voll von Korruption, Bürgerkriegen, AIDS, Hungersnöten. Aber ist „Afrika“ nicht riesengroß, bestehend aus einer Vielzahl von Ländern, Sprachen, Religionen, indigenen Kulturen, Wirtschaftsmodellen?

Mein Nachbar John lebt in Deutschland und Uganda und ist Vorsitzender des Vereins „Afrika Rise“ (https://www.afrikarise.de/). Der Verein engagiert sich für ein Schulprojekt in Uganda, versteht seine Arbeit aber trotzdem so, dass er „den Austausch zwischen Deutschland und Afrika vorantreibt“.

Also nicht etwa zwischen Deutschland und Uganda oder Europa und Afrika, sondern zwischen Deutschland und Afrika. Mir scheint: Für Afrikaner*innen ist Afrika tatsächlich viel mehr eine kulturelle und politische Einheit als es etwa Europa für Europäer*innen ist. Die konstruierte Außensicht ist zwar abwertend, scheint aber das Kollektivgefühl nicht unbedingt zu verfehlen.

Vorgestern jährte sich der 100. Geburtstag der Antikolonialistin Andrée Blouin, die in einem Interview auf die Frage, ob sie Kommunistin sei, laut wikipedia antwortet: „Kleine Dummköpfe mögen mich so nennen, wie sie wollen. Ich bin eine afrikanische Nationalistin.“ (https://de.wikipedia.org/wiki/Andr%C3%A9e_Blouin) Von wikipedia konnte ich auch lernen, dass sie sich dem Panafrikanismus zugehörig fühlte, einer offenbar recht starken Strömung hin zu einer politischen und/oder kulturellen Einheit Afrikas hin.

Und Achille Mbembe schreibt im ersten Satz seiner „Kritik der schwarzen Vernunft“, das Geschehen unseres Zeitalters bestehe darin, dass Europa nicht mehr das Gravitationszentrum der Welt bilde und die Geschichte sich „uns“ zuwendet: Und mit diesem „uns“ meint er Afrika.

Anders als in Europa scheint es mir in Afrika ein starkes, widerständiges Kollektivgefühl zu geben; dieses gibt es in Europa auch, aber es ist in Europa eigentlich hauptsächlich Ideologie, und die Leute fühlen sich im wesentlichen als Deutsche, Französ*innen oder Pol*innen. In Afrika ist es ein reales politisches Moment mit widerständigem Charakter – hervorgebracht sicherlich ex negativo durch die kollektive Erfahrung der Kolonisation und des Kampfes dagegen und das persistierende Herabschauen und Ausgegrenztwerden durch die Europäer*innen.