Warum Benjamin heute für uns wichtig ist. Fünf Thesen

Gerade komme ich von einer intensiven Woche voller Inhalt und Diskussionen rund um Walter Benjamin, beim großartigen Kantine-Festival in Chemnitz. Ich habe jetzt im Nachgang fünf Thesen entwickelt, welche Aspekte Benjamins wir mit welchen Fragestellungen aus Perspektive einer zeitgemäßen marxistischen Theorie rezipieren können. Dazu also fünf Thesen, in denen ich teilweise etwas vorläufig versuche, den Zugang zu Benjamin zu umreißen.

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Zur Erklärung der Identitätspolitik

Es gibt heute im politischen Lager von liberal bis radikal links eine eigentümliche Verkehrung der Linien der politischen Kritik-Gebote und -Verbote. Auf der einen Seite stehen die Lohnarbeitenden, also die spezifisch ökonomisch Subalternen. Während die Kritik der Lohnarbeitenden geboten ist, ist die Kritik der Kapitaleigentümer verboten. Auf der anderen Seite stehen die rassistisch, sexistisch oder anderweitig kulturell Subalternen. Während die Kritik der Subalternen verboten ist, ist die Kritik der kulturellen Unterdrückung (Weiße, Männer usw.) geboten.

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Versuch, den Faschismus von der Krise her zu verstehen

Ich versuche hier, den Faschismusbegriff von der Krise des Kapitalismus her aufzuziehen (dabei Krise und Kapitalismus nicht ökonomistisch-reduktionistisch gedacht). Faschismus wäre so verstanden die Konsequenz aus einer krisenhaften Unmöglichkeit kapitalistischer Reproduktion (nicht ökonomistisch gedacht), in der die Prämissen dieser Reproduktion durch Gewalt aufrechterhalten werden sollen. So lassen sich m. E. dann die Imperative z. B. des totalen Kriegs und der Vernichtung um ihrer selbst willen verstehen.

Viele würden wahrscheinlich sagen, ja klar, das ist ja common sense, dass der Faschismus aus der Krise des Kapitals resultiert. Mir scheint aber eher, dass die spezifische Singularität von Auschwitz in der heutigen Faschismusdiskussion nicht mehr konkret-inhaltlich vorkommt. Andererseits wird in dieser Debatte aber auch die AfD als faschistisch kritisiert, was ich für eine ziemliche Fehleinschätzung halte.

Zudem scheint mir in diesem common sense Krise nicht radikal als möglicher Zusammenbruch gedacht, als finale Krise. Dabei gibt gerade die aktuelle Corona-Krise Anlass, über den Krisenbegriff neu nachzudenken. Tatsächlich gibt es seit langem in der linken Theorie eine unselige Allianz sehr verschiedener Lager (Antideutsche, Regulationstheorie, Strukturalismus, Poststrukturalismus), die mithilfe eines entschärften Krisenbegriffs vor allem die Regenerationsfähigkeit des Kapitalismus hervorhebt.

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Zur kulturtheoretischen Betrachtung des Faschismus

Ein Zugang zum Faschismus, der das Problem individualpsychologisch zu fassen versucht, muss scheitern. Faschismus kann zwar nicht „objektiv-materiell“, d. h. als ein bestimmtes polit-ökonomisches Verhältnis gefasst werden (ökonomische Krise, Interessen des Monopolkapitals, racket-Kriminelle am Staatsapparat, Diktatur als Unterdrückung von Elendsrevolten usw.), sondern gerade nur durch die psychologische und ideologische Affirmation der Unterdrückung. Insofern ist der Zugriff des Freudomarxismus auf den Faschismus total richtig, also der These von Wilhelm Reich, Erich Fromm & Co., dass der Faschismus eine psychologische Dynamik darstellt.

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Gegen Individualpsychologie, für Kulturtheorie

Es scheint mir in der kritischen Theorie des bürgerlichen Subjekts recht durchweg eine Verkürzung der Betrachtung auf das Subjekt als Individuum zu geben, im Gegensatz zu der eigentlich nötigen Betrachtung des Subjekts innerhalb der bürgerlichen Kultur (als Teil dieser Kultur, als konstituiert durch diese Kultur und als diese Kultur konstituierend).

Mit der kritischen Theorie des bürgerlichen Subjekts meine ich etwa die Sozialpsychologie des Antisemitismus oder die Theorie der ideologischen Unterwerfung/Zustimmung zum Kapitalismus.

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Vermittlung von Theorie und Praxis bei Krahl

Krahls Texte sind unglaublich schwer zu lesen und in einen Zusammenhang zu bringen. Was allerdings den „Kern“ seiner Theorie und das Faszinierende und bis heute absolut Wichtige ausmacht, ist gerade die Vermittlung von Theorie und Praxis, die jeweils in seiner Theorie und Praxis vorliegt und deren Vermittlung er explizit reflektiert, und auch theoretisch und praktisch verfolgt.

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