Der Begriff Faschismus und das Verhältnis zum Faschismus hat heute eine ganz eigentümliche Aufladung. Es ist eigentlich fetischisiert, so dass dieses ein Verhältnis zu etwas Absolutem ist und zugleich nicht hinterfragbar ist.
Faschismus gilt als das, was unendlich schlimm, d. h. so schlimm, dass es nicht mehr schlimmer geht. Der Begriff ist dabei allerdings eine black box, eine bloße Form, über dessen Inhalt nicht geredet wird, und der auch nicht mit Inhalt gefüllt wird. Schon allein der Versuch, den Begriff Faschismus begrifflich zu diskutieren, erscheint bisweilen problematisch. Stattdessen wird als Faschismus das Allerschlimmste verstanden. Vor allem aber erklärt sich der Begriff über seinen Gebrauch in Bezug auf heutige Phänomene, d. h. es geht bei dem Begriff nicht so sehr darum, den historischen Faschismus zu bezeichnen und zu analysieren, sondern ihn auf heutige Phänomene draufzupappen und diese dann als das Allerschlimmste bezeichnen zu können – vergleiche die Rede von der „Faschisierung der BRD“ in den 70ern oder das Etikettieren der AfD als „Das sind doch Faschos!“. Interessanterweise ist mit dem Begriff eine bestimmte intensive subjektive Haltung zum Faschismus beansprucht, d. h. es gibt ein unbedingtes Gebot einer bestimmten Emotion und eines bestimmtes Urteils: Man soll innerlich unglaublich empört und aufgebracht sein über den Faschismus, und man soll ihn absolut verurteilen. Man ist dazu subjektiviert, den Faschismus als das Allerschlimmste zu verurteilen, innerlich völlig unter Strom zu stehen, wenn es um den Faschismus geht, und sofort alles zu tun, um gegen ihn zu kämpfen. Wer das nicht tut, der hat eine zweifelhafte Moral, und öffentlich darf man sich auf keinen Fall so zeigen, dass man nicht diese Gefühlslage und subjektive Verurteilung aufbringt. Wer diese subjektive Haltung nicht hat, der rückt selbst bereits in die Nähe des Faschismus.
Ich glaube, dass dieses fetischisierte Verhältnis zum Faschismus eigentlich eine ideologische Subjektivierung ist. Sie versieht eine bestimmte Subjektivität im Verhältnis zum Faschismus mit einem unendlichen Imperativ bzw. tabuisiert andere Verhältnisse zum Faschismus. Abgesehen davon, dass dieser Faschismusbegriff verhindert, den Faschismus rational und begrifflich zu analysieren, und Differenzen zwischen verschiedenen Phänomenen wahrnehmen zu können, ist der ideologische Effekt dieser Anordnung eher der, dass sich die Verurteiler des Faschismus über den Faschismus erhaben fühlen können und sich dieser Überwindung des Faschismus auch ganz sicher sein können. Sie sind sich vollkommen gewiss, nichts mit dem Faschismus zu tun zu haben und mit der absoluten Verurteilung ihre moralische Pflicht als „aufrechte und verantwortliche Bürgerinnen“ zu erfüllen. Viel weniger als ein Verhältnis zum Faschismus hat diese Subjektivität daher praktisch vielmehr die Bedeutung, den status quo des deutschen liberalen Bürgertums zu legitimieren und zu stabilisieren, als Erinnerungsweltmeister, die erfolgreich den Faschismus aufgearbeitet haben.
Ich glaube aber auch, dass diese Subjektivität gerade nicht in der Lage ist, die Phänomene zu erfassen, oder dass sie eigentlich blind ist für die Phänomene. Ein Tötungsapparat wie die Genickschussanlage, der so eine Fassade hat, dass die eintretenden Opfer glauben, es handele sich um einen medizinischen Apparat, und sich entsprechend nicht zur Wehr setzen, damit sie ganz gezielt und ohne Umstände getötet werden können, und der in eine räumliche Anordnung eingelassen ist, in der im Raum davor sich das nächste Opfer bereits auskleidet, den tötenden Schuss aber nicht hört, damit es keinen Verdacht schöpft und sich ebenfalls nicht zur Wehr setzt, und in der im nächsten Raum bereits vier Arbeiter bereit stehen, die die Leiche auf eine Trage legen und direkt ins Krematorium für ihre Verbrennung schieben, in einem solchen Tötungsapparat geht es nicht einmal mehr in der Tötung um den die Tötung dieses Menschen, es geht nicht mal mehr um konkreten Hass ihm gegenüber, er wird auch nicht mal mehr als in Vertretung für etwas anderes getötet, für das er hier nun zur Verantwortung gezogen wird, sondern es lässt sich nur mehr verstehen als übergeordneten Plan, eine bestimmte Anzahl an Menschen in einer gegebenen Zeit zu töten, mit einer übergeordneten rassistischen strategischen Begründung, so dass dann für diesen Plan diese Anordnung entwickelt wurde.
In einer subjektiven Aufgebrachtheit und einer intensiven Mobilisierung der Emotion lässt sich so ein Phänomen aus meiner Sicht nicht erfassen.
In mir löst es eher Ernüchterung; Sprachlosigkeit – nicht wissen, was man da noch sagen kann –; ohnmächtige Trauer; eine bestimmte Resignation aus.
Ich bin weit weg davon, sofort unter Strom zu stehen und sofort alles zu tun, um alles, was das sogenannte Allerschlimmste ist, mit allen Mitteln zu verhindern.
Aber ich denke, dass diese eher ernüchterte, traurige Haltung alles andere als unpraktisch und passivierend ist. Es ist eher eine sich vergewissernde Haltung, die sich Zeit nimmt, das Phänomen zu erfassen, in der es weder darum geht, auf seine Gefühle über den Faschismus stolz zu sein, noch darum, auf diese Gefühle nicht stolz zu sein, und die vor allem bedächtig nach den Ursachen und wirkenden Logiken fragt, die zu diesen Phänomenen geführt haben, ohne auf eine sofortige und baldige Antwort zu rechnen, aber dies aus der aktiv-widerständigen historischen Perspektive heraus, wie die Phänomene nicht hätten passieren können. Dies ist entfernt davon, passiv und unpraktisch zu sein, sondern es ist eine Haltung, die gegenüber heutigen Phänomenen überlegt vorgeht, sich erstmal zurücknimmt, nach Ursachen fragt, nach dem geeigneten Vorgehen dagegen fragt, aber schließlich nicht in empörter Aktion, sondern ausdauernd und mit festem Entschluss gegen die heutigen Phänomene vorgeht.