Ich möchte endlich versuchen,

einen anderen Alltag und eine andere Lebensorientierung zu entwickeln. Wir reden immer nur darüber und nennen es „Strategiedebatte“, aber was dann tatsächlich aufgebaut wird, hat nur den Aspekt eines „Aufbaus von Gegenmacht“ und soll „Macht von unten“ in Konflikte führen.

Nirgends wird eine andere Lebensweise, andere Kultur, andere Beziehungen ins Zentrum gestellt, die nicht immer ängstlich auf den eigenen Besitz, auf den eigenen Spaß oder Selbstverwirklichungsgewinn, die eigene investierte Arbeitszeit äugt.

So kommt es mir vor.

Ich möchte mich mit den Leuten nicht immer nur darüber unterhalten, welche Chancen und Perspektiven sie für ihr Berufsleben sehen; wie sie versuchen Kontakte zu knüpfen, um irgendwo reinzukommen; wie diese Freundin, diese WG, diese Stadt, dieser Job, dieses Projekt jetzt gerade cool ist, um weiterzukommen, aber perspektivisch will man wieder etwas anderes. Ich meine das gar nicht vorwurfsvoll, man muss sicher ein Stück weit so lebensstrategisch-instrumentell denken, und es fehlt einfach die gegenkulturelle Bewegung, in der man anders denken und sprechen kann. Aber es macht mich selbst unfrei, fängt mich selbst immer wieder in diese ideologischen Netze ein. Man könnte doch über sein Leben ganz anders nachdenken? Eher so als Augenblick und Gegenwart, den man versucht schön zu gestalten, ohne ängstlich in die Zukunft zu kucken? Ein Augenblick, der aber auch wieder aufhören kann, und dann macht man eben was anderes.

Ich möchte einfach wirklich anfangen, so eine andere Lebensweise zu entwickeln. Beziehungen, die nicht unter dieser merkwürdigen Marktlogik von atomisierten Individuen leiden, die sich quasi vertragsmäßig für eine bestimmte Zeit aufeinander einlassen und der Zwischenmenschlichkeit erfreuen, ohne hinterher Verantwortung füreinander zu haben, sondern in der das Interesse des einen am andern einfach was mit dem anderen zu tun hat. Eine kollektive Gestaltung des Lebens, in der sich um das Individuum in seiner Bedürftigkeit gesorgt wird und diese Energie der Gemeinschaft entsteht, in der der persönliche Gewinn des Einzelnen aus der Gemeinschaft egal wird und alle einfach ihre Fähigkeiten mitteilen und für die anderen verwenden, weil sie gesellschaftliche Fähigkeiten sind. Ein kollektives Sprechen über psychische Krankheiten, in der der Einzelne kollektiv in seiner Krankheit anerkannt wird und die Krankheit als die Wirkung einer gesellschaftlichen Lebensweise, nicht einer falschen Individualität, gesehen wird.

Das ist kein Kollektiv in einem Hausprojekt, in dem alle als Privathaushalte weiter für sich existieren und nur bessere Mietkonditionen haben.

Es ist kein anarchistisches Festival, in dem einige Tage geldlos in solidarischer Arbeitsteilung und freier Liebe gelebt wird.

Es ist auch keine Stadtteilinitiative, die prekarisierte Lebensumstände wie das Jobcenter oder Räumungsklagen versucht gemeinsam zu lösen.

Das alles kann natürlich Teil einer anderen Kultur sein, oder eine andere Kultur kann sich gerade dort entwickeln. Wie sie sich überhaupt dort immer zeigt, wo soziale Bewegung und Aufbruch ist, in jeder Protestbewegung, Platzbesetzung oder Hausbesetzung.

Aber eigentlich bräuchte es eine gegenkulturelle Bewegung, in der wir sowas gemeinsam entwickeln. Und die kann nicht „strategisch“ initiiert werden, da müssen wir wirklich alle selbst ran und mit den Leuten andere Beziehungen entwickeln, bei denen wir sowas ähnliches spüren. „Strategisch“ kann man vielleicht die Idee von sowas verbreiten oder Orte schaffen, in denen so ein anderes Leben eher möglich ist.

Aber jetzt gerade weiß ich nicht mal, mit wem ich darüber sprechen soll. Also konkret und praktisch, nicht nur als „Debatte“.