Ines Schwerdtners Neo-Kautskyanismus

Ines Schwerdtner hat ihre politische Strategie für die Linkspartei bereits im Juli für die Zeitschrift LuXemburg unter dem Titel „Für einen Kurswechsel“ dargelegt. Hier einige Argumente zur Kritik ihrer durchaus problematischen neo-kautskyanischen Strategie, die die Krise der Partei nur scheinbar löst, in Wirklichkeit aber verlängern wird.

1. Dezisionismus

Sie sieht die Partei in der tiefsten Krise seit ihrer Gründung, die einen tiefgreifenden Umbau erfordert. Gleichzeitig sieht sie aber einen enormen Zeitdruck für einen Kurswechsel der Partei, wenn sie überleben will. Dieser Alarmismus zeigt eigentlich, dass Schwerdtner nicht anerkennt, dass die Partei in einer tiefgreifenden Krise ist. Denn aus dieser führt sicherlich kein rascher Kurswechsel heraus, sondern nur eine kollektive Diskussion und Kritik sowie eine grundlegende Restrukturierung der Organisation. Solch ein Prozess geht tief, braucht Zeit und muss unbelastet von Leistungsdruck stattfinden können. Alarmismus verhindert einen solchen Prozess. – Die Partei muss also aushalten, umwillen der langfristigen Erneuerung kurzfristig weiter zu verlieren.

2. Autoritative Entscheidung der parteiinternen Antagonismen

Schwerdtner fordert einen Kurswechsel der Partei hin zur Klassenpolitik, also eine Politik für die (nicht weiter spezifizierte) Arbeiterinnenklasse. Sie konzipiert die Partei als ein Kollektivsubjekt, das sich mehr oder weniger frei zu den Widersprüchen und Krisen der Welt verhalten, interne Widersprüche durch Diskussion politisch bearbeiten und dadurch auch zu analytischer Klarheit kommen kann. Die Partei könnte also demnach durch politische Diskussion zur Entscheidung und einheitlichen Positionierung kommen. Allerdings gehen die Konfliktlinien in der Partei, also vor allem der Gegensatz zwischen Schwerdtners klassenpolitischem Lager und, dem entgegenstehend, dem minderheiten- und klimapolitischen Lager, nicht einfach auf Positionierungen zurück, die man in einem rationalen Diskurs zur Disposition stellen und aufgrund der richtigen Argumente ändern kann. Vielmehr repräsentieren und reflektieren die Lager und Konfliktlinien in der Partei gesellschaftliche Antagonismen zwischen verschiedenen Fraktionen der Arbeiter*innenklasse und kulturellen Milieus. Anders gesagt, die Partei ist selbst von den Widersprüchen und Krisen der kapitalistischen Gesellschaft in ihrer gegenwärtigen Verfasstheit durchzogen. Die Partei kann sich nicht einfach von diesen frei machen und in sich überwinden. Es müsste vielmehr anerkannt werden, dass auch die Linkspartei nicht jenseits dieser Widersprüche und generell der Formiertheit durch den Kapitalismus steht, und im Bewusstsein dessen agiert werden. Das kann nur heißen, im Bewusstsein der kapitalistischen Bedingtheit der internen Widersprüche eine gemeinsame Perspektive auf die Überwindung dieser Widersprüche durch Überwindung des Kapitalismus zu entwickeln. Auf der Grundlage dieser gemeinsamen Perspektive kann dann eine Solidarität zwischen den Konfliktlinien in der Partei entwickelt werden, und diese als notwendige, objektiv bedingte Fraktionierung begriffen werden.

Diese Herangehensweise Schwerdtners an die parteiinternen Antagonismen sind umso problematischer, als die analytische Klarheit und einheitliche Positionierung für sie heißt, dass man auf ihren klassenpolitischen Diskurs einschwenken soll. Das wird nicht funktionieren, denn der parteiinterne Antagonismus ist notwendig und lässt sich nicht durch „Entscheidung“ irgendwie auflösen. Was Schwerdtners Herangehensweise real bedeuten wird, ist das Bestreben, die argumentative Diskussion nicht mehr inhaltlich auszutragen, so dass die verschiedenen streitenden Lager in ihrer Relevanz für die politische Deliberation und Strategienbildung der Partei als notwendig erkannt werden, sondern diese Diskussion als Machtkampf zu führen und sie als Machtkampf zu entscheiden, also durch Ausüben einer Dominanz über das andere Lager. Das wird die Krise nicht lösen, sondern verschärfen – schlimmstenfalls durch Austritt des Minderheitenlagers.

3. Sozialismus als Kampf gegen Großkonzerne

Schwerdtner nennt die Linkspartei eine sozialistische Partei; der von ihr geforderte Kurswechsel beinhaltet auch, mit dem Sozialismus nun ernst zu machen. Aber was heißt für sie Sozialismus? Die Linkspartei ist für Schwerdtner offenbar darum sozialistisch, weil ihr Kernsegment die soziale Gerechtigkeit ist; zudem ist offenbar nur das klassenpolitische Lager sozialistisch, weil sie das ihr entgegenstehende minderheiten- und klimapolitische Lager „linksliberal“ nennt. Für die Konzeption des „klassenpolitisch-sozialistischen Wegs“ stützt sie sich auf einen Text von Judith Dellheim und anderen, in dem Sozialismus als Umverteilung von Reichtum und Kampf gegen global agierende Großkonzerne bestimmt wird. – Das hat halt einfach nichts mit Sozialismus zu tun. Um Sozialismus zu bestimmen, müsste man mindestens von Antikapitalismus, Privateigentum an Produktionsmitteln und Systemkritik sprechen. Das kommt alles nicht vor. Umverteilung und soziale Gerechtigkeit sind sozialdemokratische Forderungen.

4. Neo-Kautskyanismus

Schwerdtner wiederholt in diesem Papier die Strategie, die sie bereits früher eingefordert hatte und die sich auch im Hinblick auf ihr Engagement beim Jacobin-Magazin als Neo-Kautskyanismus mit seiner ganzen, auch historisch bereits deutlich gewordenen Problematik beschreiben lässt: Hauptwiderspruchsdenken, Avantgarde-Partei, autoritative Repräsentation, Machtkampfdenken, Dezisionismus. Das ist auch politisch bereits bei ihrem Engagement für die Kampagne „Genug ist genug!“ schon deutlich geworden.

Ich halte diese Strategie für nicht zielführend, weil es erneut kein Angebot an ihre innerparteilichen Gegner enthält, nur die Aufforderung an die Partei, auf den von ihr geforderten „klassenpolitisch-sozialistischen“ Kurs einzuschwenken. Nötig wäre dagegen ein anderer, tatsächlich sozialistischer, also antikapitalistischer Kurs. Auf Grundlage einer antikapitalistischen Gesellschaftskritik wäre die Partei in der Lage, innerhalb der scharfen Konfliktlinien zu vermitteln. Die entsprechende Diskussion und Restrukturierung der Partei erfordert allerdings einen langen Atem – nichtsdestotrotz müsste jetzt damit begonnen werden.

5. Schwerdtners Kandidatur ist eine Scheinlösung der Parteikrise

Da Schwerdtner „marxistischer“ wirkt als die anderen Kandidat*innen, wirkt ihre Kandidatur so, als wäre damit endlich ein definitives Umschwenkens auf eine wirkliche antikapitalistische Oppositionslinie verbunden. Dies ist, wie ich oben versucht habe zu zeigen, tatsächlich aber nicht der Fall; es ist nur der Schein eines Umschwenkens, der daher die Krise der Partei tatsächlich verlängern wird, statt sie zu lösen. Mit Schwerdtner kann die Linkspartei eine neo-kautskyanische, sozialdemokratische Linie fahren, aber eben ohne sich tatsächlich gegen das kapitalistische System zu stellen. Mit Schwerdtner wird man sich nicht in Gefahr begeben, weil man eigentlich immer noch auf dem Boden des Systems Parteipolitik macht. Um die Krise der Partei tatsächlich zu lösen, wäre eine antikapitalistisch-sozialstische Strategie und revolutionäre Realpolitik in ihrer ganzen Komplexität nötig. Dafür müsste die Linkspartei die Bereitschaft für einen tiefgreifenden, langwährenden und sicher nicht leichten Diskussionsprozess aufbringen, der auch die eigene bürgerliche Stellung der Linkspartei-Politiker*innen im bürgerlichen Politikbetrieb zur Disposition stellt. Von einer solchen Bereitschaft ist bisher wenig zu sehen.