Um dem Rechtsruck Einhalt zu bieten und der drohenden Gefahr einer Faschisierung zu begegnen, genügt es nicht, für Demokratie und Menschenrechte Flagge zu zeigen und die politischen Organisationen der radikalen Rechten (AfD etc.) unter Repression zu stellen.
Sondern man muss an die Ursachen des Rechtsrucks ran: Das aufheben, woraus er entsteht.
Es fragt sich daher: Was sind diese Ursachen? Und zwar möglichst konkret formuliert, so dass man sie in einer tatsächlichen Praxis angehen kann, und ihnen praktische Gegenkonzepte entgegenstellen kann.
Es bringt in dieser Hinsicht zum Beispiel nichts zu sagen, dass der Rechtsruck aus den Widersprüchen des Kapitalismus und den Sorgen der Menschen in ihrem Alltag im Kapitalismus oder aus den Deklassierungs- und Identitätsängsten in Krisenzeiten entsteht. Das ist beides abstrakt richtig und ist als Argument gegen bürgerliche Auffassungen wichtig, die keinen inneren Zusammenhang von Kapitalismus und Faschismus sehen, aber in unserer Frage „Was tun gegen die radikale Rechte?“ bringt es uns nicht weiter.
Wie kann man diese Ursachen also konkret fassen? Ich versuche das über die spezifischen Krisenerfahrungen der Menschen in ihren konkreten Lebenszusammenhängen zu denken, beispielsweise aktuell die Krise der repräsentativen Demokratie, die Krise der Männlichkeit, die Krise der bürgerlich-kulturindustriellen Öffentlichkeit. So kann man dann über alternative, emanzipatorische Praktiken nachdenken, die diese Krisen möglicherweise auflösen können, und damit auch die Verzweiflungen, Ängste, das Verrücktwerden in diesen Krisenerfahrungen, die die Leute rechtsradikal werden lässt.
Wenn man so versucht praktisch antifaschistisch zu denken, kommen an dieser Stelle sehr affektgeladene Einwände und Empörungen, und das ist vielleicht der Grund, warum da in den antifaschistischen Debatten heute nicht weitergedacht wird:
(a) Die Ursachen des Rechtsrucks sind gerade nicht kulturelle Probleme (wie von mir beschrieben), sondern ökonomische im Sinne einer massiven ökonomischen Schlechterstellung (Reallohnverluste, Verteuerung aller Lebensmittel, Mietensteigerungen, Armut im Alter). Die Rede über die emanzipatorische Kulturpraxen verdeckt nur die eigentliche Ursache des Rechtsrucks.
(b) Die bürgerlichen Kulturinstitutionen kommen nicht erst jetzt in die Krise, sie sind die Krise. Repräsentative Demokratie, Männlichkeit etc. sind nicht erst jetzt das Problem, sondern überhaupt. Die Menschen werden nicht deshalb rechtsradikal, sondern sie waren es latent. immer schon, denn die kapitalistische Gesellschaft bringt systematisch und strukturell regressive Charaktere hervor. Der Rechtsruck geht also vielmehr darauf zurück, dass rechtsradikale Propaganda sich zuletzt sehr viel erfolgreicher platzieren konnte, und daher das latente rechtsradikale Potenzial nun in großem Maßstab manifest wurde.
Ich will auf diese Einwände jetzt nicht weiter eingehen (ich habe das an anderer Stelle genug gemacht), aber ich denke man merkt schon, dass die endlose Diskussion um diese Punkte, die die antifaschistischen Diskurse seit langer Zeit bestimmen, hier heftig blockieren und eine Entwicklung eines wirklich praktischen und effektiven Antifaschismus verhindern. Diese vielfältigen, zurecht so bezeichneten *Debatten* der Linken (nicht „Diskussionen“) machen letztlich auch die Diskussion über einen praktischen und effektiven Antifaschismus so unglaublich kompliziert, und unendlich viel Gehirnschmalz erforderlich.
Bezüglich des Einwands (a) ist aber eine Sache wichtig: Wenn ich sage, dass kulturelle Probleme die Ursachen des Rechtsrucks sind, dann meine ich damit nicht, dass die ökonomischen Krisenerfahrungen dafür keine Rolle spielen. Tatsächlich, insofern sie rein ökonomisch sind, würden sie nicht nach rechts führen: Die Menschen werden nicht nationalistisch, antifeministisch, entwickeln keinen Hass auf Flüchtlinge rein dadurch, dass sie immer größere Probleme haben, die Mieten zu zahlen, ihren Lebensstandard halten zu können, und dergleichen. Dieser ökonomische Druck führt vielmehr zu klassisch linken Forderungen nach sozialer Gerechtigkeit, die die radikale Rechte nie in dieser Form artikuliert, sondern eben immer nur pervertiert in Form einer nationalen Gemeinschaft, des Hasses auf Flüchtlinge etc. aufgreift. Dass die ökonomischen Ursachen als solche, als sie selbst, nicht nach rechts führen, heißt aber nicht, dass sie keine Rolle in den kulturellen Krisenerfahrungen spielen würden. Vielmehr haben diese ökonomischen Probleme immer auch kulturelle Bedeutung, werden immer auch kulturell erfahren, zum Beispiel als persönliche Unzulänglichkeit, Scham, Minderwertigkeit.
Um also in der oben angefangenen Überlegung zu den spezifischen, kulturellen Krisenerfahrungen der Menschen weiterzumachen:
Es ist nun gewissermaßen an der falschen Stelle angefangen, wenn man in analytischer, gesellschaftstheoretischer Methode bei diesen Krisenerfahrungen anfängt und sie versucht zu analysieren, sondern man muss bei den Affekten und Ideologemen anfangen, die aktuell die radikale Rechte mobilisieren bzw. insbesondere Menschen dazu bringt, sich nach rechts zu radikalisieren.
Man muss also über rechtsradikale „talking points“ nachdenken wie: „Gender-Wahn“, „Zerstörung der Familie“, „Frühsexualisierung der Kinder“, „Klima-RAF“, „Corona-Diktatur“, „Lügenpresse“, „Fake News“, „Verlust der Meinungsfreiheit“, „Flüchtlingskrise“, „Clankriminalität“, „Heimatverlust“, „die Grünen“, „Deutschland“, „das Establishment“, „korrupte Eliten“, „Entmachtung des deutschen Volkes“.
Man muss versuchen, die spezifische Krisenerfahrung herauszuarbeiten, aus der sich diese jeweiligen rechtsradikalen Ideologeme speisen, und wie sie in diese autoritären Muster übergehen. So würde man das Ideologem der „Entmachtung des deutschen Volkes“ auf die Krise der repräsentativen Demokratie, das Ideologem des „Gender-Wahns“ auf die Krise der Männlichkeit und das Ideologem der „Lügenpresse“ auf die Krise der bürgerlich-kulturindustriellen Öffentlichkeit zurückführen.
Wenn man diese Ursachen der autoritären Reaktionen so fasst, das heißt als durch die kapitalistische Gesellschaft bedingte Krisenerfahrungen, dann impliziert das zugleich, dass diese Krisenerfahrungen wirkliche Probleme für die Menschen sind. Das heißt, sie sind nicht nur Probleme einer kapitalistischen Form, die in diesem Sinne keine wirklichen Probleme sind oder deren Problem-Charakter nur eingebildet ist (weil man sich in der bürgerlichen Ideologie bewegt), sondern die Krise der repräsentativen Demokratie, der Männlichkeit, der bürgerlichen Öffentlichkeit sind richtig echte Probleme des Zusammenlebens und für die Menschen „in ihrem Alltag“. Sie sind zwar *auch* Probleme der kapitalistischen Form und in diesem Sinne als Probleme ideologisch (und deshalb führen sie auch nicht einfach nach links, sondern zu oft nach rechts), aber sie sind nicht nur solche Probleme. Sie sind reale gesellschaftliche Probleme und Probleme der kapitalistischen Form, ohne dass man das in einfacher Weise auseinanderdividieren kann. (So wie Marx für die Ökonomie die Krise des Warentauschs zugleich als Krise der Kapitalverwertung und der stofflichen Distribution fasst.)
Wenn man die rechtsradikalen Ideologeme so auf ihre Ursachen, die ihnen zugrundeliegenden kulturellen Krisenerfahrungen, deren rechtsradikale Reaktion sie sind, zurückführt, dann wird es möglich, in folgender Richtung zu arbeiten: Man kann eine marxistische Kritik dieser kulturellen Probleme formulieren und emanzipatorische Kulturpraxen entwickeln, die diese Krisen real adressieren (real, d. h. nicht nur scheinhaft wie die rechtsradikalen „Lösungen“).
Ich versuche das hier mal am Beispiel des Öffentlichkeits-Komplexes – „Lügenpresse“, „Fake News“, „Verlust der Meinungsfreiheit“ – ein wenig durchzudenken.
Diese autoritären Kritiken sind vielleicht ideologisch, aber sie treffen auch etwas. Die bürgerlich-kulturindustrielle Öffentlichkeit basiert tatsächlich auf einer Abhebung und Abstraktion von den Erfahrungen, Gedanken und Diskursen der Massen gewissermaßen „unten an der Basis der Gesellschaft“, obwohl sie zugleich den Modus des „Für-alle-Sprechens“, der Repräsentation hat. Die in der bürgerlichen Öffentlichkeit starken Medien repräsentieren tatsächlich bestimmte hegemoniale Strömungen, sie treffen bestimmte Auswahlen, Bewertungen, Darstellungsperspektiven, obwohl sie eben zugleich im Modus der Neutralität und Objektivität agieren. Diese Widersprüche sind immer da, sie haben sich aber zuletzt zugespitzt. Die allgemeine Wahrnehmung der Heuchelei und Unredlichkeit der Medien, dass sie bestimmt sind von starken partikularen Strömungen, die sie zugleich verleugnen, hat sich verbreitet.
Man muss sicher noch genauer herausarbeiten, wie diese aktuelle Krise der bürgerlich-kulturindustriellen Öffentlichkeit beschaffen ist und wie genau sie zu den autoritären Reaktionen führt. Wenn man aber von einer grundsätzlichen Kritik dieser Öffentlichkeit ausgeht, und ihre Krise mit ihren inneren Widersprüchen verbindet, wird es möglich zu fragen: Wie kann man emanzipatorische Gegenkonzepte zur bürgerlich-kulturindustriellen Öffentlichkeit entwickeln, d.h. emanzipatorische Kulturpraxen, die eine reale Antwort auf die derzeitige Krise darstellt und das heißt, in der die Nöte der Menschen in dieser Krise der Öffentlichkeit aufgefangen oder teils aufgelöst werden können.
Sie können innerhalb des Kapitalismus offensichtlich nicht überwunden werden, aber sie stellen andererseits eine Basis dar, um sich gegen die Zumutungen und die Krise der bürgerlichen Öffentlichkeit aktiv zur Wehr zu setzen. Diese Perspektive des Widerstands, des „Empowerment“, die durch die emanzipatorischen Gegenkonzepte möglich wird, ist gleichzeitig auch das vielleicht beste Gegenmittel gegen die autoritäre Scheinlösung.
Es reicht allerdings nicht, den autoritären Reaktionen nur solche emanzipatorischen Kulturpraxen entgegenzustellen. Denn die Krise der Öffentlichkeit stellt nicht nur, aber immer auch ein nur ideologisch wahrgenommenes Problem dar, insofern sie immer auch zugleich eine Krise vom Standpunkt der kapitalistischen Form von Öffentlichkeit ist (die kein reales Problem ist, da die kapitalistische Form gerade das Problem ist). Deshalb muss den emanzipatorischen Kulturpraxen immer ein antifaschistischer Diskurs entgegengestellt werden, der die autoritären Reaktionen auseinandernimmt: Der aufzeigt, dass sie die realen Probleme tatsächlich nicht lösen, und dass die Öffentlichkeit in der kapitalistischen Form selbst ein grundlegendes Problem ist, das die Krise hervorbringt. Einen solchen kritisch-antifaschistischen Diskurs kann man natürlich nicht aus dem Blauen heraus mit Rechtsradikalen oder mit Menschen, die sich nach rechts radikalisieren, anfangen, sondern man muss damit anfangen, dass man die Nöte nachvollziehen kann – genauer gesagt in der Hinsicht anfangen, in der man die Nöte nachvollziehen kann (Entfremdung der Öffentlichkeit, Abhebung, nur vorgebliche Neutralität).
Den Einstieg in den kritisch-antifaschistischen Diskurs muss man so machen, dass man eine gemeinsame Basis, einen gemeinsamen Boden des Redens findet. Von dort aus kann man dann auch die innere Absurdität der autoritären Reaktionen und „Lösungsvorschläge“ aufzeigen, die ja tatsächlich nur die bürgerlich-kapitalistische Öffentlichkeit in autoritärer Form neu aufstellen, und deshalb auch deren Widersprüche wiederholen. Eigentlich machen die autoritären Lösungen genau das, was sie der bürgerlichen Form vorwerfen. (An dieser Stelle muss man sich nun natürlich anschauen, wie die Vorstellungen zu autoritären Medien aussehen, also wie da argumentiert wird.)
Ein solches „Mit Rechten reden“ ist daher kein „Verständnis-Zeigen“ für die Rechtsradikalen, weil – und das ist hier auch extrem wichtig – hier unterschieden wird zwischen der Krise der kapitalistischen Form und der Krise des gesellschaftlichen Lebenszusammenhangs, auch wenn diese immer gleichzeitig da sind.
Es geht also darum, der bürgerlich-kapitalistischen Öffentlichkeit eine andere Form von Öffentlichkeit entgegenzustellen, die in wirklich demokratischer Weise strukturiert ist, in der die Erfahrungen der Menschen an der Basis eingehen, und in der sich das Kollektiv dieser Öffentlichkeit über ihre eigene Handlungen verständigt, und nicht nur über Handlungen eines Staats deliberiert, der zugleich auch unabhängig von dieser Öffentlichkeit ist.
Nun kann man sagen, es gibt ja etliche Formen linker Gegenöffentlichkeit, wie etwa kreiert durch die Linkspartei, linke NGOs, Demonstrationen, Kampagnen, Kneipenkollektive, Zeitungen, Radios, Mailinglisten, Facebook-Blasen. Gegenöffentlichkeiten gebe es da doch zuhauf und wir müssten eher überlegen, wie wir dieses Konzept mehrheitsfähig machen, ihre Reichweite ausdehnen können und die Menschen dazu bringen, sich für diese linken Gegenöffentlichkeiten zu interessieren.
Das fundamentale Problem dieser Idee ist, dass sie nicht von der eigenen Aktivität und Erfahrung der Menschen – der Massen – ausgeht. Und ich orientiere mich jetzt an dem Buch von Negt/Kluge, „Öffentlichkeit und Erfahrung“, ihrer scharfen Kritik des Konzepts der Gegenöffentlichkeit und ihrem Konzept der proletarischen Öffentlichkeit. Eine Öffentlichkeit als wirkliche Alternative zur bürgerlichen Öffentlichkeit kann nur durch die eigene Aktivität, Organisierung, Zusammenschluss der Menschen zustande kommen und muss deren Erfahrung organisieren, nicht weil Linke diese Erfahrungen aufgreifen und repräsentieren, sondern weil es eine gesellschaftliche Organisation dieser Erfahrungen gibt, die sich schließlich nur zum Teil über Medien ausdrücken, vor allem aber über Formen des praktischen Austausches über die eigenen Probleme und wie man gegen diese vorgehen kann, über Formen des allgemeineren Zusammenschließens dieser Austausche an der Basis durch rätedemokratische Delegation, wobei diese gemeinsame Öffentlichkeit wieder in einer Diskussion des wirklichen gemeinsamen Handelns bestehen muss.
Linke Gegenöffentlichkeiten, die sich als emanzipatorisches Gegenbild zu dieser Gesellschaft verstehen und die Massen aufklären wollen, ihnen ein emanzipatorisches Bewusstsein bringen wollen, stehen strukturell im Widerspruch zu solch einer proletarischen Öffentlichkeit. Sie sind selbst im Grunde nur eine Kopie der bürgerlich-kulturindustriellen Öffentlichkeit (wie immer in Form von Organisationsöffentlichkeiten, Gruppenöffentlichkeiten, Nicht-Öffentlichkeiten strukturiert), aber keine emanzipatorische Kulturpraxis, die den Ursachen des Rechtsrucks hier im Bereich der Öffentlichkeit begegnen können.
Ich habe jetzt versucht, die Frage, wie man die Ursachen des Rechtsrucks angehen kann, am Beispiel der Öffentlichkeit ein wenig zu durchdenken. Wenn man die anderen erwähnten rechtsradikalen „talking points“ ansieht, könnte man das in entsprechender Weise diskutieren, beispielsweise:
- „Gender-Wahn“ => Krise der Männlichkeit => Queere Kulturpraxen der Massen, die den binären Geschlechterdruck auflösen (nicht als queere Subkultur)
- „Zerstörung der Familien“ => Krise der Familie => Kommunen- und Netzwerkstrukturen für häusliche Reproduktion, Kindererziehung, Verwandtschaft, Zärtlichkeit, Sexualität (nicht als gegenkulturelle Polyamorie oder linke Hausprojekte)
- „Entmachtung des deutschen Volkes“ => Krise der repräsentativen Demokratie => räte- und basisdemokratische Strukturierung von widerständigen Organisierungen
Allerdings wirft diese ganze Überlegung eine Frage auf, scheint eine entscheidende Schwachstelle zu haben: Wie können wir mit solchen emanzipatorischen Kulturpraxen wie der proletarischen Öffentlichkeit argumentieren, uns auf sie als Gegenmittel zum Rechtsruck beziehen, wenn heute kapitalismuskritische Denkweisen und Konzepte emanzipatorischer Lebensweisen kaum verbreitet sind, die widerständige, selbständige Organisierung der Massen so schwach ausgeprägt sind wie heute, wenn Ansätze kaum ausgebildet sind und dort, wo sie sich zeigen, systematisch von Integrationsmechanismen aufgesogen werden? Wie kann man in dieser Situation die Forderung nach emanzipatorischen Kulturpraxen wie der proletarischen Öffentlichkeit als Gegenmittel zum Rechtsruck verstehen? Denn ihr Grundprinzip ist ja eben, dass die Menschen sie selber machen, und dass sie es eben keine linken, gegenkulturelle Strukturen wie Gegenöffentlichkeiten sein können, die den Menschen erst gebracht wird.
Das ist im Prinzip ein ganz neuer, großer Komplex zur Organisationsfrage, der einen eigenen Text erfordern würde (und ich habe schon in diesem Text auf viele Dinge noch nicht zufriedenstellend eingehen können). Wie gesagt, es ist hier nicht die Rede davon, dass der Antifaschismus einfach ist. Im Gegenteil, er ist massiv blockiert durch die eigene Verhedderung und Verhakung der Linken in sich selbst, die einer solchen praktisch-produktiven Reflexion, wie ich sie hier versuche, ziemlich viel entgegensetzt. Ich bin hier noch lange nicht zu dem Punkt gekommen, an dem tatsächlich gesagt werden könnte: *Das* ist, was wir heute tun können, die tatsächliche Antwort auf die Frage „Was tun gegen die radikale Rechte?“ Wir müssen zur Zeit vor allem viel Arbeit und Energie aufwenden, um uns da herauszuarbeiten.
Aber im Prinzip wäre zum Komplex der Organisationsfrage zu sagen: Um beim „Reden mit Rechten“, also innerhalb eines antifaschistisch-sozialistischen Diskurses, emanzipatorische Kulturpraxen als Argument zu bringen, müssen diese noch nicht voll als revolutionäre Organisation der Massen ausgebildet sein, um überzeugend zu sein. Die Frage ist eher: Wie können wir sie in der jetzigen Situation als überzeugendes Argument bringen? Dazu reicht es sicher nicht, nur auf bloße Ideen hinzuweisen, sondern es muss bereits heute eine Praxis da sein, die die kulturellen Probleme zumindest ein Stück weit auflösen kann und insofern realpolitisch erfolgreich ist. Man sollte hier in der Argumentation mit Rechtsradikalen oder Menschen, die sich gerade nach rechts radikalisieren, nicht in den Maximalismus einer revolutionären Organisation der Massen verfallen, der dann tatsächlich nur Idee sein kann, sondern es reicht, dass praktische Ansätze, die in ihrem Rahmen funktionieren, entwickelt werden. Diese emanzipatorischen Kulturpraxen müssen dann aber auch wirklich da sein und entwickelt werden, sonst braucht man auch nicht „mit Rechten zu reden“. Jetzt aktuell sind sie tatsächlich nicht da, und insofern ist dies insgesamt ein Zukunftsprojekt.
Die Frage stellt sich aber nun: Wenn es solche praktischen Ansätze nur so gibt, wenn die Menschen sie selber machen, was kann dann die Linke tun? Hier simpel zu sagen, die Linke solle erstmal bei sich anfangen und sich in ihren eigenen Lebensverhältnissen organisieren, ist nicht falsch, beantwortet aber die Frage nicht, denn gemeint ist mit dieser eigentlich: Wenn in der jetzigen Situation der nicht vorhandenen Selbstorganisierung der Massen Ansätze einer solchen bitter nötig sind, was kann die Linke tun, um das zu befördern? Die abstrakte Antwort: Sie – oder diejenigen Fraktionen der Linken, die solche eine Stoßrichtung eben mittragen wollen – muss alles in ihrer Kraft Stehende tun, alle ihre derzeit verfügbaren Mittel benutzen, um die Selbstorganisierung der Massen zu ermöglichen und Integrationsmechanismen von Widerstand auszuhebeln.
Diese Fraktionen der Linken müssen sich als gesellschaftlich wahrnehmbare Kraft organisieren, die sich zu aktuellen Problemen und Krisenerfahrungen öffentlich positioniert und die dabei realpolitisch konkret ist und zugleich eine revolutionäre Perspektive einnimmt. Es geht darum, den Massen kapitalismuskritische Denkweisen und Konzepte emanzipatorischer Lebensweisen zur Verfügung stellen, mit denen sie etwas anfangen können, und so einen ersten Rahmen zu ermöglichen, in dem sich eine proletarische Öffentlichkeit bilden kann.
Die Linke muss informelle Kader hervorbringen, die in Ansätzen von widerständiger Selbstorganisierung aktiv werden, aber in strategisch geplanter Weise, und dort logistisch-technische Unterstützung leisten und gegen Integrationsmechanismen intervenieren, ohne aber den Prozess der Selbstorganisierung und der eigenen Erfahrung zu verhindern.
Diese beiden Punkte, der Aufbau einer gesellschaftlich sichtbaren Organisation in diesem Zuschnitt, und die Entwicklung informeller Kader mit strategischem Vorgehen, sind beide selbst wiederum ein ziemlich großes Projekt, von dessen Verwirklichung wir weit weg sind. Dies ist aber nun endlich und tatsächlich der Punkt, an dem wir mit „Was tun gegen die radikale Rechte?“ heute anfangen können. Seine Verwirklichung schafft zugleich Bedingungen – die wichtig, aber nicht notwendig sind – für praktische Ansätze einer Selbstorganisierung der Massen. Eine Garantie für letzteres gibt es nicht. Dennoch sind solche praktischen Ansätze die tatsächlich notwendige Bedingung, um „mit Rechten zu reden“, also für einen effektiven antifaschistisch-sozialistischen Diskurs.
Der ist bitter nötig und drängt wie nie zuvor, angesichts des massiven Drucks des Klimawandels und der aggressiven Remigrationspläne der radikalen Rechten. Dass wir ihn so bitter nötig haben und er dennoch heute so weit weg ist, bezeichnet die Tragik und Riesenanforderung unserer Zeit. Vor der dürfen wir nicht resignieren, denn eine Aufgabe und ein Scheitern angesichts des Faschismus wäre katastrophal.